Tobolsk – In the Middle of Nowhere

22. – 24. August 2019

Noch etwas müde traten wir auf den Bahnsteig und durchquerten den Bahnhof, um auf der anderen Seite festzustellen, dass sich diese Haltestelle der Transsib mitten im Nichts befindet. Mit Hilfe unserer Karte und einiger freundlicher Bahn-Angestellter konnten wir herausfinden, welcher Bus uns zu unserem Hotel bringen würde, das auf halber Strecke zwischen Stadt und Bahnhof lag und damit leider ziemlich weit weg von beidem. Im Bus selbst war die Kommunikation wieder deutlich erschwert, und erst mit Hilfe anderer Fahrgäste verstand der Fahrer, wo wir aussteigen wollten. Dafür war die zwanzigminütige Busfahrt für den Spottpreis von 21 Rubel, also etwa 30 Cent, pro Person zu haben. Unser Hotel befand sich auf der Hauptstraße Richtung Stadtkern, umgeben von Baustellen, Unterkünften für Arbeiter und modernen Villen, die durch hohe Zäune und Mauern vom Rest der Siedlung abgeschottet wurden. Das Hotel selbst sah von außen noch nicht ganz fertig, aber auch schon wieder etwas heruntergekommenen aus. Im Inneren war es bis auf sehr fragwürdige Farbkombinationen und kitschige Wandbilder ganz ordentlich eingerichtet. Wir bezogen unser sehr großzügig geschnittenes Zimmer und duschten erst einmal ausgiebig.

Der funkelnde Kreml in Tobolsk.

Etwas erholt fuhren wir mit dem Bus in die Innenstadt, um uns dort umzusehen. Wir besuchten den Kreml, wo wir anlässlich des Flag-Days auf die Museen hingewiesen wurden. Wir hatten dies als Einladung anlässlich der Feierlichkeiten verstanden, doch als wir im Museum aufgehalten wurden und man uns nach unseren Eintrittskarten fragte, fanden wir heraus, dass es sich wohl weniger um eine Einladung als vielmehr um eine Aufforderung gehandelt hatte. Wir verzichteten darauf, dieser nachzukommen und entschieden uns stattdessen, uns auf den Weg in die Altstadt zu machen. Im Vorfeld hatten wir viel über die wunderbare Altstadt von Tobolsk gelesen, dies war einer der Gründe dafür, dass wir uns für einen Besuch der Stadt entschieden hatten. Wir waren daher etwas erstaunt, als wir vom Hügel, auf dem der Kreml thront, eine weite Aussicht über den unteren Teil der Stadt hatten und feststellen mussten, dass dieser zu einem großen Teil aus Beton-Wohnblöcken bestand. Um uns das Ganze aus der Nähe anzuschauen, stiegen wir die vielen Treppenstufen den Burgberg hinab. Unten angekommen mussten wir feststellen, dass der Eindruck von oben nicht getrogen hatte. Die viel gerühmte „Altstadt“ bestand tatsächlich hauptsächlich aus relativ modernen und außerordentlich hässlichen Gebäuden. Dazwischen verteilt waren zahlreiche ausgebrannte oder verfallene Holzhäuser, deren vergangene Pracht man teilweise durchaus noch erahnen konnte. Dennoch entsprach dies nicht den Vorstellungen, die die blumigen Beschreibungen in uns geweckt hatten.

Wir fotografierten zum Trost ein paar verfallene Gebäude und stiegen dann wieder den Berg hinauf, um in einem schönen Lokal in der Nähe des Kremls Kaffee zu trinken, Kuchen zu essen und endlich richtig Ann-Katrins Geburtstag zu feiern. Wir stockten in der Stadt noch unsere Vorräte auf, da wir den kommenden Tag entspannt im Hotel verbringen wollten. In einem schicken Restaurant mit sehr leckerem Essen und noch besseren Nachtischen ließen wir den Geburtstag gebührend ausklingen. Nur der Versuch heimisches Bier zu bestellen scheiterte leider, denn die Biere der lokalen Brauerei stellten sich als deutsche Spezialitäten heraus.

Stilvoll Kaffeetrinken.

Am nächsten Tag ließen wir es sehr gemütlich angehen, und auch das regnerische Wetter ermutigte uns nicht zu großen Ausflügen. Stattdessen stürzten wir uns in die Planung unserer weiteren Reise, was sich leider jedoch als eher deprimierendes Unterfangen herausstellte. Alle Flüge aus der Mongolei nach Nepal waren so teuer, dass sie weit jenseits unseres Budgets lagen, und spontan sagte uns keine der möglichen Alternativen wirklich zu. Wir verschoben die finale Entscheidung zwar, ahnten jedoch, dass wir uns von Nepal als Reiseland vorerst würden verabschieden müssen. Der Plan, uns mit einem Sauna-Besuch zu trösten, fiel leider auch ins Wasser, da der Besuch im hauseigenen Spa nicht wie nach der Beschreibung im Internet vermutet im Zimmerpreis inbegriffen war, sondern ganz im Gegenteil sehr teuer. Also unternahmen wir stattdessen einen Spaziergang, der uns eigentlich in den Wald führen sollte. Allerdings mussten wir schnell feststellen, dass der Weg dorthin überall durch Grundstücke und hohe Zäune verbaut war. Wir kehrten diesem Labyrinth den Rücken und stellten auf dem Rückweg fest, dass der Hotelgarten über einen Zugang zum dortigen Wald verfügte, wo wir noch ein bisschen umher spazierten, um dann vom Gewitter wieder ins Haus zurück gescheucht zu werden. Erschöpft von diesem Ausflug bereiteten wir uns eine Schüssel Instant-Nudeln zu und sahen uns, passend zu den bisherigen Stationen unserer Reise, Disneys „Anastasia“ an. Diese schöne Stimmung wurde leider ruiniert, als Pia nach dem Abendessen während eines sehr schönen Telefonats mit ihrer Schwester kleine Tierchen im Bett entdeckte, die sich nach kurzer, panischer Recherche als Bettwanzen herausstellten.

Den Rest der Nacht brachten wir damit zu, jeden Millimeter unseres Gepäcks und jedes einzelnen Kleidungsstücks mit Stirnlampen bewaffnet nach den Schädlingen abzusuchen und sie zu entfernen. Sie hatten sich an allen möglichen und unmöglichen Stellen versteckt und waren teils sehr schwer zu erkennen, weshalb die Suche sehr langsam voran ging. Als wir nach mehreren Stunden jeden einzelnen Gegenstand, den wir dabei hatten, einmal gründlich untersucht hatten, fingen wir noch einmal von vorne an, um ganz sicher zu gehen. Um halb sieben in der Früh weckten wir schließlich die Rezeptionistin, um unserem Gepäck einen Saunagang zu spendieren. Unsere Online-Recherche hatte ergeben, dass eine der besten Methoden, Bettwanzen zuverlässig abzutöten, ist, sie über längere Zeit hohen Temperaturen auszusetzen. Also breiteten wir unser gesamtes Gepäck (bis auf unsere Elektronik, Schlafsäcke und die wenigen frisch gewaschenen, garantiert wanzenfreien Kleidungsstücke, die wir trugen) in der Sauna aus, um alle Wanzen (und Wanzeneier), die wir eventuell übersehen hatten, abzutöten. Insgesamt dauerte die Gepäcksauna gut zwei Stunden, und auch unsere empfindlichsten Besitztümer erhielten zumindest eine kurze Behandlung. Wir selbst duschten ausgiebig (wobei immer eine Person das Gepäck bewachte) und fühlten uns anschließend wieder etwas lebendiger. Wir packten unsere Rucksäcke, wobei wir noch einmal jedes einzelne Teil einer Sichtkontrolle unterzogen, und gingen zur Rezeption, um einen Preisnachlass herauszuhandeln. Aufgrund unserer mangelnden Russischkenntnisse gestalteten sich die Verhandlungen jedoch eher schwierig, und da unser Durchsetzungsvermögen unter der durchwachten, extrem anstrengenden Nacht sehr gelitten hatte, gaben wir uns mit einem Nachlass von hundert Rubeln zufrieden und machten uns auf den Weg zum Bus. Der Weg zum Bahnhof konnte uns gar nicht schnell genug gehen, und als wir uns dort durch den Zug gekämpft hatten, ließen wir uns erschöpft auf unsere Betten fallen. Der Zug rollte los, und erleichtert sahen wir zu, wie Tobolsk allmählich in der sibirischen Weite verschwand. Während die Birkenwälder am Fenster vorbeirauschten, begannen wir uns auf unser nächstes Ziel zu freuen – Novosibirsk, eine der größten und wichtigsten Städte Russlands.

Transsibirische Eisenbahn – On Track to Tobolsk

20. – 22. August 2019

Unser Plan, noch schnell auf dem Weg zum Zug einzukaufen, ging nicht ganz so gut auf wie erwartet. Im etwas verwirrend aufgebauten Supermarkt brauchten wir deutlich länger als geplant, unter anderem, um unter zwanzig Sorten Samowar-tauglicher Instant-Nudeln die einzige ohne Fleischextrakt zu finden. Unangenehm knapp vor Abfahrt unseres Zuges verließen Ann-Katrin und Nico den Supermarkt und rannten mit Pia, die draußen auf glühenden Kohlen gesessen hatte, los in Richtung Gleise. Dort angekommen offenbarte sich allerdings schon das nächste Problem. Keiner der Züge auf der Abfahrtstafel schien unserer zu sein. Wir hetzen hin und her durch die gewaltige Bahnhofshalle und versuchten mehrere wartende Fahrgäste zu fragen, die aber entweder unseren Zug nicht finden konnten oder unser Anliegen nicht verstanden. Als wir allmählich immer nervöser wurden, fand Pia doch noch eine Schaffnerin, die uns den Weg zu unserem Zug weisen konnte. Nach einem sehr gehetzten Weg den Bahnsteig entlang bis zu unserem Waggon konnten wir schließlich unserer Provodnitsa Tickets und Pässe zeigen und endlich einsteigen.

Blick in unseren Waggon
Nico erholt sich im gemütlichen Bett

Sehr erschöpft bezogen wir unsere Betten in der Platskart – eins unten am Gang und zwei oben gegenüber. Unser „Abteil“ teilten wir mit dem achtjährigen Wanja und seinem Opa. Auch hier war die Kommunikation sehr schwierig, da wir kaum Russisch und die beiden kaum Englisch sprachen. Dennoch kamen wir ins „Gespräch“, der ältere Mann zeigte uns Bilder seines Hundes und brachte uns die Zahlen von eins bis zehn auf Russisch bei. Ansonsten waren die beiden eher ruhig, im starken Kontrast zu Olga, die über Pia das obere Gangbett bewohnte und deshalb den winzigen Tisch mit uns teilte. Olga war sehr redselig und ließ sich nicht davon beirren, dass wir offensichtlich kaum ein Wort verstanden. Ihren Redefluss unterbrach sie vor allem, um aus einer Dose, die sie unter dem Tisch versteckte, ein alkoholisches Getränk zu schlürfen. Mit der Zeit schöpften wir den Verdacht, dass sie nicht nur für uns unverständliches Zeug brabbelte. Dies bestätigte sich wenig später, als Wanjas ansonsten sehr zurückhaltender Opa sie lautstark zurecht wies, woraufhin sie sich beleidigt in ihr Bett verzog.

Einige Plätze weiter saßen zwei junge Russen, mit denen wir im weiteren Verlauf der Fahrt ins Gespräch kamen. Einer von ihnen, Egor, sprach sehr gut Englisch, während sein Freund Deniz das Gespräch überwiegend via Google Translate bestritt. Die beiden waren erstaunt über unsere eher ungewöhnliche Route und darüber, dass wir Platskart, also Dritte Klasse, fuhren. Bisher hatten wir uns darüber keine Gedanken gemacht, aber nach diesem Gespräch fiel uns auf, dass wir tatsächlich die einzigen Touristen in unserem Waggon zu sein schienen. Außerdem gaben uns zahlreiche Tipps, welche Städte und Orte wir bei unserem nächsten Russland-Aufenthalt besuchen sollten.

Als sich gegen Abend immer mehr Passagiere ins Bett begaben, taten wir es ihnen, erschöpft von den anstrengenden Tagen in Moskau, gleich und machten es uns auf unseren schmalen Pritschen den Umständen entsprechend gemütlich. Entgegen unserer Befürchtungen wiegte uns das stetige sanfte Rütteln des Zugs schnell in den Schlaf.

Unsere Provodnitsa im Gespräch
Unser Zug bekommt eine neue Lok

Den nächsten, relativ ereignisarmen Tag verbrachten wir bis auf einen kurzen Spaziergang bei einem längeren Stopp in Yekaterinenburg komplett im Zug. Wir schauten gefühlt stundenlang aus dem Fenster, unterhielten uns mit unseren Mitreisenden und teilten Essen und russisches Bier mit ihnen. Olga war frühmorgens ausgestiegen und ihr Platz von einem sehr schweigsamen älteren Herrn übernommen worden, der größtenteils für sich blieb. Im Laufe des Nachmittags fühlte sich der anfangs so fremde Alltag im Zug schon sehr vertraut an, und als wir uns abends schlafen legten, fühlten wir uns beinahe heimisch. Am nächsten Morgen erreichten wir sehr früh unseren Zielbahnhof Tobolsk, wo wir etwas erleichtert wieder festen Boden betraten.

Moscow – Welcome to Russia

16. – 20. August 2019

Nach einem mäßig ereignisreichen Flug und einer mehr oder weniger erholsamen Nacht am überschaubaren Flughafen von Riga landeten wir schließlich gespannt an Sheremetyevo, einem der Moskauer Flughäfen. Aller guten Vorsätze, im voraus etwas Russisch oder zumindest Kyrillisch zu lernen, zum Trotz, stolperten wir zunächst etwas ratlos umher, da auch im Ankunftsbereich viele Schilder nur auf Russisch waren und auch die Einreisebeamten kein Wort Englisch sprachen. Es war für uns ein sehr ungewohntes Gefühl, in einem fremden Land nicht nur die Sprache nicht zu verstehen, sondern nicht einmal die Schrift entziffern zu können. Dennoch schafften wir es, den Flughafen zu verlassen und, mit Händen und Füßen kommunizierend, zwei SIM-Karten zu kaufen. Diese Art, uns zu verständigen, würde uns wohl mangels breit aufgestellter Fremdsprachenkenntnisse noch eine lange Zeit begleiten.

Nach einer kurzen Fahrt mit dem Aeroport-Express empfing uns Moskau mit seiner beeindruckenden Metro, geschäftigen Menschenmassen und sowjetischer Stahlbeton-Architektur. Unser sehr hübsches, verwinkeltes und weitläufiges Hostel mit dem vielsagenden Namen „Strawberry Duck“ fanden wir in einer versteckten Seitengasse. Während wir darauf warteten, unser Zimmer beziehen zu können, lernten wir zwei sehr gastfreundliche und gesprächige Russen kennen, die uns ein paar unentbehrliche russische Phrasen beizubringen versuchten. Erschöpft von der langen Anreise verließen wir unsere Unterkunft nur noch für einen kurzen Einkauf und verschoben die Erkundung der Stadt auf den nächsten Morgen.

Aufgrund des mäßigen Wetters am folgenden Tag führte unser Weg uns in das Museum des Großen Vaterländischen Krieges, wo wir den russischen Blick auf den Zweiten Weltkrieg erfahren konnten. Die Ausstellung widmet sich überwiegend der Heldenverehrung, Herzstück des Museums ist die „Ruhmeshalle“, in der nicht nur die Namen von fast 12.000 Trägern des Titels „Held der Sovietunion“, sondern auch die dreizehn „Helden-Städte“, die beim Sieg über die Nazis eine besondere Rolle gespielt hatten, in Gold verewigt sind.

Die Decke der prunkvollen Ruhmeshalle

Im Anschluss setzten wir unser Schlechtwetterprogramm fort und steuerten einige der interessantesten, beeindruckendsten und schönsten Stationen der vielseitigen Moskauer Metro an. Nico übte sich in Geduld, während Pia und Ann-Katrin fleißig fotografierten.

Da uns Moskau am Sonntag mit zunächst verhaltenem Sonnenschein weckte, unterbrachen wir unser Schlechtwetterprogramm. Wir begaben uns in die Sparrow Hills etwas oberhalb der Innenstadt und wurden mit einem etwas diesigen aber sonst sehr weiten Ausblick über die Metropole belohnt, untermalt von den Gitarrenklängen einer Straßenmusikerband, die dort vor der gigantischen Universität performte.

Nach einer kurzen Fahrt im verzweigten Metronetz taten wir es den Scorpions gleich und folgten der Moskwa down to Gorki Park, wo wir ausführlich flanierten, uns mit Street food stärken und den Ausblick auf das bombastische russische Außenministerium genossen.

Von dort spazierten wir durch ein Moskauer Naherholungsgebiet zur im Sonnenuntergang leuchtenden Erlöserkathedrale, bevor wir den Abend im Hostel ausklingen ließen.

Da wir an unserem letzten vollen Tag in Moskau touristisches Pflichtprogramm abarbeiten wollten, führte unser Weg uns zunächst direkt zum Roten Platz, wo uns leider eine herbe Enttäuschung erwartete. Der normalerweise weitläufige und eindrucksvolle Platz am Fuße des Kreml war für die Vorbereitung eines anstehenden Festes größtenteils abgesperrt und mit einer gigantischen Arena zugebaut. Wir versuchten, uns mit einem Besuch der farbenfrohen Basilius-Kathedrale zu trösten, waren allerdings nicht die einzigen, die diese Idee gehabt hatten. Die Besuchermassen, die sich unter normalen Umständen auf dem gesamten Roten Platz verteilt hätten, tummelten sich auf engstem Raum um die Kathedrale. Nach einem kurzen Bad in der Menge Bogen wir ab ins Gum, ein gewaltiges, sehr nobles Einkaufszentrum direkt gegenüber.

Da weder Warenauswahl noch Preisgestaltung im Gum unseren Ansprüchen entsprachen, machten wir uns für unseren Einkaufsbummel stattdessen auf in die Arbatskaya, eine von Moskaus größten Einkaufs- und Touristenstraßen, wo wir ein recht traditionelles russisches Abendessen zu uns nahmen und den Tag mit einer weiteren ausführlichen Metro-Fototour beendeten.

Pia und Ann-Katrin machten sich am nächsten Tag auf, den Kreml zu erkunden, während Nico sich einem düsteren Teil russischer Geschichte widmete und das Moskauer Gulag-Museum besuchte. Im Anschluss trafen wir uns wieder und machten uns voller Vorfreude auf den Weg zum Bahnhof, um unser transsibirisches Abenteuer zu beginnen.

Nordkoreanische Reisegruppe im Kreml