Ulaanbaatar – Light Up Mongolia

12. – 15. September 2019

Unser Hostel erschien uns zunächst etwas gespenstisch. Wir vier waren die einzigen Gäste, die etwa zwanzig restlichen Betten waren frei. Davon etwas irritiert machten wir uns auf den Weg, ein Restaurant fürs Abendessen zu suchen. Das erwies sich als weitaus schwieriger als gedacht, da fast alle Lokale schon geschlossen hatten. Nach einiger Suche landeten wir schließlich in einer Pizzeria, wo wir allerdings bald zu unserem Entsetzen feststellen mussten, dass auf eine mongolische Pizza anscheinend mehrere Esslöffel Zucker gehören. Etwas schwerfällig machten wir uns anschließend wieder auf den Heimweg.

Die Anstrengungen der letzten Tage in den Knochen starteten wir sehr gemütlich in unseren ersten Tag in der mongolischen Hauptstadt. Wir wurden angenehm davon überrascht, dass unser Hostel kostenlos ein recht ordentliches Frühstück bereit stellte. Den Vormittag brachten wir damit zu, uns einen Überblick darüber zu verschaffen, was wir in der Mongolei sehen wollten. Es war schnell klar, dass wir aufgrund der bodenlosen Straßenverhältnisse und des fast völligen Mangels an öffentlichen Verkehrsmitteln nicht, wie wir es vorgezogen hätten, auf eigene Faust würden losziehen können. Also recherchierten wir, welche Tourenanbieter und Tourenpakete für uns passend wären. Nach einiger Zeit hatten wir eine ungefähre Vorstellung und hielten es nicht länger im Hostel aus, daher machten wir uns zusammen mit Jasmin auf, die Stadt zu entdecken.

Zunächst zog es uns zum Herz der Stadt, dem Sükhbataar-Platz, der von einigen der wichtigsten Gebäude der Stadt und der ganzen Mongolei umringt ist, unter anderem dem Parlament, dem Nationaltheater und verschiedenen Wolkenkratzern. Außerdem ist der Platz mit Statuen verschiedenster Khans gefüllt, die wachsam vor dem Parlament thronen.

Sükhbataar, ein Held der mongolischen Revolution wacht über die Stadt.
Junge Musiker mit ihren traditionellen Pferdekopfgeigen.

Wie schon in Moskau waren auch auf diesem zentralen Platz die Vorbereitungen für ein großes Fest in vollem Gange; allerdings hatten wir hier mehr Glück, denn selbiges sollte schon an diesem Abend stattfinden. Wir nahmen uns vor, zu späterer Stunde zurückzukehren und setzten unseren Erkundungszug durch Ulaanbaatar fort.

Nach unserer ersten traditionell mongolischen Mahlzeit fanden wir uns wieder am Sükhbataar-Platz ein, wo die Feierlichkeiten inzwischen in vollem Gange waren. Neben Auftritten der Mongolischen Philharmoniker und einer Rede des Premierministers gab es auch spektakuläre Darbietungen verschiedener mongolischer Popstars sowie ein hervorragendes Feuerwerk zu bestaunen. Als wir anschließend etwas durchgefroren unser Hostel erreichten, hatten sich dort inzwischen weitere Gäste eingefunden, die gerade sehr erschöpft, aber glücklich von einer Tour durch die Wüste Gobi zurückgekehrt waren.

Light Up Mongolia.

Voller Vorfreude trafen am nächsten Morgen die Tourenmanagerin von Sunpath, um mit ihr unsere Wünsche zu besprechen. Wir hatten uns auf eine Gobi-Tour und eine Tour in den fernen Westen der Mongolei geeinigt, mussten aber schnell feststellen, dass letztere durch zwei Inlandsflüge sehr viel teurer war als gedacht. Nach diesem Rückschlag verbrachten wir mehrere Stunden mit der Suche nach alternativen Lösungen, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Also buchten wir zusammen mit Jasmin eine siebentägige Gobi-Tour und machten uns schließlich wie schon am Vortag auf in die Straßen und Gassen von Ulaanbaatar.

Unser Weg führte uns abseits der Hauptstraßen durch kleine, staubige Gässchen zum Gandan Khiid, einem der größten und wichtigsten buddhistischen Klöster der Mongolei, wo wir zahlreiche farbenfrohe und prächtige Tempel sowie zahllose Gebetsmühlen bestaunten.

Gandan Khiid.

Der Hunger trieb uns zurück in Richtung Innenstadt, in ein vor allem von jungen Touristen frequentiertes Café. Frisch gestärkt beschlossen wir dort, uns doch noch mongolische SIM-Karten zu kaufen. Da es bereits 21 Uhr und noch dazu Samstag war, stellte sich dieses Vorhaben als eher kompliziert heraus, doch dank unserer extrem hilfsbereiten Kellnerin gelang es uns, zwei SIM-Karten zum lachhaften Preis von je 2000 Tögrög, also ca. 67 Cent, zu erstehen. Wieder im Hostel packten wir voller Vorfreude unsere Rucksäcke für die bevorstehende Tour.

Ulan-Ude to Ulan Bator – Grenzen und Schlaglöcher

11. – 12. September 2019

In Irkutsk, das uns wieder mit Regen empfing, kauften wir zunächst noch Proviant für die nächsten Tage, die wir vor allem im Zug und Bus verbringen würden. Anschließend fuhren wir zum Bahnhof, wo am frühen Abend unser Zug nach Ulan-Ude abfuhr. Dieser Streckenabschnitt war der einzige, auf dem wir nicht Platskart fuhren, sondern uns ein Viererabteil in der zweiten Klasse gegönnt hatten. Dieses teilten wir mit einer jungen Russin, die nach kurzer Zeit sehr gesprächig wurde. Sie konnte kaum glauben, dass wir so lange durch Russland gereist waren, ohne mehr als ein paar Wörter Russisch zu sprechen oder auch nur zu verstehen. Dennoch unterhielten wir uns, wie so oft mit Hilfe von Google Translate, sehr nett und ausführlich mit ihr. Nach einem Transsib-typischen Instantnudel-Abendessen gingen wir früh schlafen, da wir schon am nächsten Morgen um kurz nach Fünf in Ulan-Ude ankommen sollten.

Zu nachtschlafender Zeit weckte uns also die Provodnitsa, und wir stolperten schlaftrunken aus dem Zug. Vor dem Bahnhof suchten wir ein Taxi, das uns zum einige Kilometer entfernten Busbahnhof bringen sollte. Dort angekommen erledigten sich unsere Pläne, die Stunden bis zur Abfahrt unseres Busses noch zu schlafen, da die Umgebung sehr düster und wenig vertrauenerweckend wirkte. Also harrten wir etwas unentspannt aus, bis etwa zwei Stunden später die Schalterhalle des Busbahnhofs geöffnet wurde. Dort trafen wir Jasmijn wieder, die im Gegensatz zu uns eine Nacht in Ulan-Ude übernachtet hatte. Da es online empfohlen wurde, hatten wir unser Ticket nach Ulan Bator im Vorfeld über ein Hostel in Ulan-Ude gebucht. In der Zwischenzeit hatte dieses allerdings den Hostelbetrieb eingestellt, sodass wir etwas nervös waren, ob wir unsere Tickets rechtzeitig beziehungsweise überhaupt erhalten wurden. Etwa eine halbe Stunde vor Abfahrt des Busses wurden wir schließlich erlöst, als unser Kontaktmann erschien und mehreren erleichterten Leuten ihre Tickets aushändigte. Kurz darauf wurden wir zu unserem Bus gerufen und wir richteten uns für die planmäßig zehn Stunden lange Fahrt ein.

Der Bus war farbenfroh dekoriert, voller roter Vorhänge und Kordeln. Der Beginn der Fahrt verlief sehr ruhig, die Straße war gut und außen zog Sibirien an uns vorbei. Je mehr wir uns der Grenze näherten, desto mehr wandelte sich die Landschaft. Bäume und Wälder wurden seltener und gingen über in grüne Hügel und Steppe. Nach wenigen Stunden erreichten wir die russisch-mongolische Grenze. Dort mussten wir alle aussteigen und mit unserem Gepäck die Grenze passieren. Nachdem unser Gepäck und wir selbst mehrfach durchleuchtet und unsere Pässe gestempelt worden waren, kamen wir am mongolischen Einreiseschalter an. Unsere Einreise verlief sehr entspannt, dank unserer deutschen Pässe brauchten wir nicht einmal ein Visum. Jasmijn hatte weniger Glück, das Visum, das sie im Voraus für viel Geld über eine Agentur beantragt hatte, war ungültig, da es handschriftlich geändert worden war. Nach einem kurzen Schreckmoment wurde das Problem von den mongolischen Grenzbeamten aber sehr freundlich und schnell gelöst; sie bekam ohne große Formalitäten und ohne noch einmal etwas zahlen zu müssen ein gültiges Visum ausgestellt und wir konnten unsere Fahrt fortsetzen.

Mongolischer Highway.

Direkt hinter der Grenze verschlechterten sich die Straßenverhältnisse dramatisch. War die Straße auf russischer Seite noch durchgängig asphaltiert und in gutem Zustand gewesen, so rumpelten wir auf mongolischer Seite über deutlich schlechteren Straßenbelag voller Schlaglöcher. Nach kurzer Zeit machten wir eine Mittagspause, wo wir bei fliegenden Händlerinnen, die auch einen Geldwechselservice anboten, unser erstes mongolisches Bargeld erhielten. Wir waren etwas erstaunt bis schockiert, da der größte Schein, 20.000 Tögrög, etwa 6,50€ entsprach und der kleinste, 10 Tögrög, etwa einem Drittel eines Cents. In dem Gebäude, an dem wir angehalten hatten, befand sich neben einem einem Notariat, einem Hotel und mehreren Büros auch ein Restaurant ohne eine einzige vegetarische Option auf der Karte. Wir beschränkten uns auf eine Tasse Tee, und nach kurzer Pause ging die Fahrt weiter.

Mehrzweckgebäude – Hotel, Restaurant, Büros und Notariat in einem.

Im weiteren Verlauf der Reise wurden die Straßen- und Verkehrsverhältnisse immer schlimmer. Asphalt wurde bald zu Mangelware, und stattdessen fuhren wir – in unserem Reisebus – über unbefestigte Schotter- und Sandpisten. Wir kamen sehr viel langsamer voran als wir erwartet hatten, und bald war klar, dass wir Ulan Bator erst recht spät abends erreichen würden. Darüber tröstete uns allerdings die fantastische Landschaft hinweg, in die wir uns mit jedem Meter mehr verliebten. Bald tauchten entlang des Wegs verschiedenste Tiere in großer Zahl auf, teils in gewaltigen Herden, teils in kleinen Gruppen oder einzeln. Dabei handelte es sich vor allem um Ziegen, Schafe, Kühe und Pferde.

Liebe auf den ersten Blick – die mongolische Steppe.

Dennoch waren wir sehr erleichtert, als wir nach zwölf Stunden Fahrt endlich Ulan Bator erreichten. Unsere Erleichterung steigerte sich jedoch noch, als uns beim Aussteigen ein Fahrer unseres Hostels empfing. Wie sich herausstellte, hatte Jasmijn im Voraus mit dem Hostel einen Abholservice vereinbart, und alle zusammen brachen wir auf Richtung Sunpath Hostel. Dieses kurze Stück nahm aber aufgrund des fast vollständigen Verkehrskollapses in Ulan Bator, den unser Fahrer durch seinen fast ununterbrochenen Einsatz der Lichthupe bereicherte, noch einmal lange Zeit in Anspruch. Umso mehr freuten wir uns, als wir letztlich unsere Unterkunft erreicht hatten.

Lake Baikal – Endlose Weiten

07. – 11. September 2019

Nach kurzer Fahrt entlang der Küste kamen wir schließlich in Listvyanka an, dem Küstendorf, das den meisten Besuchern des Baikalsees als Basistation dient. Wir sahen uns kurz etwas um, machten uns dann aber rasch auf den Weg zum Hostel. Leider war dieser weiter als erwartet, und begann noch dazu nach den ersten paar hundert Metern stetig anzusteigen. Außerdem begleiteten uns mehrere teils sehr aggressive Straßenhunde über weite Teile des Wegs. So waren wir sehr erschöpft, als wir schließlich an unserem Hostel ankamen, einer sehr malerischen Ansammlung von Holzhäusern. Wir bezogen unser Zimmer und wuschen zum ersten Mal seit Tobolsk wieder Wäsche in der Maschine. Ansonsten verbrachten wir den größten Teil des Tages damit, unsere Wanderung am Baikalsee und unseren Mongolei-Aufenthalt zu planen. Abends bemerkten wir, dass das Hostel kostenlos Buchweizen zur Verfügung stellte, und da dieser eine der zentralsten Zutaten der russischen Küche darstellt, beschlossen wir, uns am nächsten Tag an Buchweizenbrei zu versuchen.

Unser Experiment war ein voller Erfolg, der über Nacht eingeweicht und morgens gekochte süße Buchweizenbrei war ein hervorragendes Frühstück. Anschließend machten wir uns auf den Weg, Listvyanka zu erkunden. Wir machten viele Fotos vom See und beobachteten zahlreiche Touristen, die es uns gleichtaten, darunter auch sehr viele Russen und sogar eine Gruppe Soldaten. Anschließend schlenderten wir über die beiden Märkte des Dorfes, wo Nico einen Omul, aß, einen Fisch aus der Familie der Lachse, der fast ausschließlich im Baikalsee vorkommt. Anschließend kehrten wir zum Hostel zurück, wo wir einen ruhigen Abend verbrachten und erneut Buchweizenbrei, diesmal allerdings salzigen, aßen. Danach packten wir unsere Rucksäcke und trafen letzte Vorbereitungen für die zweitägige Wanderung am See, die wir am nächsten Tag beginnen wollten.

Eine Omul-Verkäuferin auf dem Markt.
Sonnenuntergang über dem Baikalsee.

Morgens brachen wir früh auf. Unser erstes Ziel war das Ranger-Büro im Dorf, wo wir uns eine Genehmigung zum Zelten am See abholen wollten. Dort stellten wir fest, dass der Ranger zwar kaum ein Wort Englisch, dafür aber passabel Deutsch sprach. Mit der Genehmigung in der Tasche machten wir uns also auf den Weg. Kaum hatten wir die Ausläufer des Dorfes hinter uns gelassen, machten wir eine Pause an einem sehr malerischen Steg, wo wir ein kleines Fotoshooting veranstalteten. Als wir weiter wanderten, mussten wir sehr bald feststellen, dass der Weg, der laut unseren Recherchen relativ gut zu bewandern sein sollte, sehr schmal an ausgesprochen steilen Klippen entlang führte. So kamen wir nur sehr langsam voran, aber immerhin konnten wir die ganze Zeit eine fantastische Aussicht über den See genießen. Nach etwa vier Stunden trafen wir wieder auf den einfacheren, breiten Wanderweg, der durchs Inland geführt hätte. Bei einer kurzen Rast beschlossen wir, doch nicht bis zu unserem ursprünglichen Ziel, einem etwa 24km von Listvyanka entfernten Dorf zu wandern, sondern vorher eine schöne Stelle am See zu suchen.

Rast am See.

Kurz darauf fanden wir einen wunderschönen Platz, doch machten wir den Fehler, nicht sofort unsere Zelte aufzustellen. Wir schwammen stattdessen im See, wobei wir es im eiskalten Wasser kaum eine Minute aushielten. Als wir anschließend am Ufer saßen, kam ein russischer Tourguide auf den Platz gelaufen und begann sofort, ein Zelt aufzubauen. In unserer Idylle gestört, beschlossen wir, noch einmal nach einem anderen Platz zu suchen. Wir zogen los und fanden einen anderen, auch recht schönen Platz etwa einen Kilometer entfernt. Dort genossen wir ein Abendessen mit Blick auf den See und ließen uns bald darauf vom sanften Rauschen der Wellen in den Schlaf wiegen.

Am nächsten Morgen weckte uns der nun nicht mehr ganz so sanfte See. Das Wasser war unruhig und aufgewühlt, und im Gegensatz zum Vortag waren durchaus auch höhere Wellen zu sehen. Nach dem Frühstück machten wir uns gemütlich auf den Rückweg, doch mussten wir bald feststellen, dass auch diese Strecke weniger entspannt war als wir erwartet hatten. Zwar war der Weg breit und gut angelegt, doch führte er bald in schier endlosen Serpentinen kleinen Berg hinauf. Der Abstieg gestaltete sich dann allerdings wieder deutlich einfacher, und nachdem wir im Dorf noch eingekauft hatten, kamen wir erschöpft und zufrieden wieder in unserem Hostel an.

Leider war die dortige Sauna, auf deren Besuch wir uns während der Wanderung sehr gefreut hatten, laut der Rezeptionisten defekt. Während des Abendessens kamen wir mit Jasmijn, einer niederländischen Journalistin, und einer älteren schottischen Lady ins Gespräch. Es stellte sich heraus, dass Jasmijn zwei Tage später mit dem selben Bus wie wir in die Mongolei fahren und dort im selben Hostel wohnen würde. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, dass wir letztendlich fast zwei Wochen miteinander verbringen würden.

Morgens nahmen wir nach erneutem Buchweizen-Frühstück den Bus zurück nach Irkutsk, von wo uns der Weg weiter in die Mongolei führen sollte.

Irkutsk – Into the Heart of Russia

06. – 07. September 2019

Erschöpft von der langen, großteils schlaflosen Nacht machten wir uns in Krasnoyarsk auf den Weg zu einem Café in Bahnhofsnähe. Dort angekommen schafften wir es nach einigem hin und her, eine große Auswahl an vegetarischem Gebäck und erstaunlich guten Kaffee, leider in Einwegbechern, zu bestellen. Nach einem mehrstündigen Aufenthalt, den wir hauptsächlich mit Recherche und Postkartenschreiben verbrachten, machten wir uns wieder auf den Weg zum Bahnhof, wobei wir unterwegs noch Proviant einkauften. In unserem „Abteil“ saß auf dieser Strecke eine Mutter mit ihrer dreijährigen Tochter. Zuerst waren wir von dem lauten und extrem aktiven Kind etwas genervt, aber nach kurzer Zeit kamen wir mit der Mutter sehr nett ins Gespräch (natürlich via Google Translate). Das einzige größere Ärgernis während der weiteren Fahrt war der merkwürdige Schaffner, der uns, als wir abends schweigend neben seiner Kabine Zähne putzten anschnauzte, wir sollten nicht so einen Lärm veranstalten. Nach einer ansonsten ruhigen und für unsere Verhältnisse geradezu kurzen Fahrt (kaum 18 Stunden) kamen wir schließlich in Irkutsk an, dem sogenannten „Paris Sibiriens“.

Die vielgerühmte Stadt empfing uns mit ihrem prächtigen Bahnhof und ekelhaftem Nieselregen. Kaum hatten wir den Bahnhof verlassen, hielt eine Straßenbahn, die wir spontan als die richtige Linie erkannten. Wir quetschten uns in die ohnehin schon sehr volle Bahn und bekamen einen ersten Eindruck von Irkutsk. Leider konnte uns die Stadt zunächst nicht wirklich überzeugen. Die Straßen durch die unsere Fahrt führte waren großteils ziemlich grau und heruntergekommen, sehr viel Sowjet-Beton, verlassene und verfallende Gebäude und Straßen mit unzähligen Schlaglöchern. Das Gesamtbild wurde durch den Regen weiter getrübt. Daher waren wir sehr froh, als wir nach kurzer Fahrt und einigen hundert Metern zu Fuß an unserem Hostel ankamen, das sich als sehr gemütlich herausstellte. Nachdem wir uns eingerichtet und geduscht hatten, frühstücken wir im Hostel und da inzwischen der Regen aufgehört hatte, machten wir uns anschließend auf, Irkutsk eine zweite Chance für einen ersten Eindruck zu geben.

Unser Weg führte uns zunächst in Richtung des Kvartal 130. Irkutsk ist, wie andere große sibirische Städte, für seine schönen, mit kunstvollen Schnitzereien verzierten Holzhäusern bekannt. Da die schönsten Beispiele dieser Architektur in der ganzen Stadt verstreut sind, ließ die Stadtverwaltung vor einigen Jahren ein eigenes Touristenviertel aufbauen. Hier wurden neu gebaute Imitationen solcher Häuser an Exemplare gereiht, die woanders abgerissen, abtransportiert und Stück für Stück wieder aufgebaut worden waren. Das Ergebnis, besagtes Kvartal 130, schockierte uns mit seiner beeindruckenden Hässlichkeit. Außer dutzenden identischen Souvenirshops, Touristenrestaurants und aufdringlichen Straßenmusikern hatte es nur eine große, sehr unsympathische Mall zu bieten. Nach sehr kurzer Zeit verließen wir das Kvartal wieder und sahen uns stattdessen eine nahegelegene, sehr schöne orthodoxe Kathedrale an. Im Anschluss aßen wir in einem kleinen, sehr russischen Restaurant verschiedenste gefüllte Teigtaschen.

Blick ins Kvartal 130

Nachmittags sahen wir uns einen anderen Teil der Stadt an. Unser Weg führte an der Angara entlang, einem der größten Zuflüsse des Baikalsees. Wir verbrachten viel Zeit in verschiedenen Parks am Ufer und auf Inseln im Fluss, wo wir verschiedene kleinere Sehenswürdigkeiten besichtigten, unter anderem eine Statue von Nikolaus II., dem letzten Zar Russlands. Anschließend besuchten wir im Norden der Stadt die obligatorische Lenin-Statue und buchten unseren Bus nach Listvyanka, ans Ufer des Baikalsees. Nachdem wir noch kurz einige Vorräte für die nächsten Tage eingekauft hatten, begaben wir uns zurück zum Hostel.

Der nächste Tag begann früh und hektisch. Auf dem Weg zum Busbahnhof hatte unsere Straßenbahn eine längere Verspätung, weshalb wir sehr gestresst an unserem Ziel ankamen. Dort erfuhren wir durch eine Lautsprecherdurchsage, die ein sehr hilfsbereiter Russe für uns übersetzte, dass unser Bus eine halbe Stunde Verspätung hatte. Diese nutzte unser neuer Bekannter, um uns hilfreiche Tipps für Listvyanka zu geben. Nachdem der Bus schließlich kam verlief die Fahrt recht unspektakulär, und nach etwa einer Stunde kam schließlich der sagenumwobene Baikalsee in Sicht.

Ergaki – Bear Country

31. August – 05. September 2019

Wir mussten feststellen, dass wir laut unserer Offline-Karte auf dem Handy ca. 8km von unserem eigentlichen Ziel ausgestiegen waren, dem Ergaki Park Visitor Center, von dem wir uns Kartenmaterial und Tipps für den Umgang mit Bären erhofften, von denen es im Park noch einige hundert geben soll. Wir überlegten, die Strecke zu Fuß zurückzulegen, entschieden uns aber dagegen, da die Straße recht kurvig und schmal war und reger Verkehr herrschte. Also beschlossen wir, unser Glück per Anhalter zu versuchen, und würden schon nach recht kurzer Zeit von einem Trupp Straßenarbeiter eingesammelt, die Verkehrsschilder entlang der Strecke austauschten. An unserem Ziel angekommen mussten wir zu unserem Entsetzen feststellen, dass sich an diesem Ort nur eine Hütte und eine kleine Ranger-Station befand, an der aber niemand Englisch sprach und keine Informationen zu erhalten waren. Schließlich stellten wir fest, dass das Visitor Center wenige hundert Meter von unserem Ausgangspunkt entfernt lag.

Wir stellten uns also wieder an die Straße und würden recht schnell von einem sehr freundlichen Mann mitgenommen, der uns an unserem Ziel einige Zedern-Zapfen in die Hand drückte und uns gestenreich erklärte, dass man die Kerne gut essen könne. Wir bedankten uns und betraten das Visitor Center, wo sich leider schnell herausstellte, dass auch hier wenig Informationen zu holen waren. Es gab nur eine einzige Karte, die sehr teuer und fürs Wandern absolut unbrauchbar war, und auch was Trinkwasser und Verhalten bei Begegnungen mit Bären anging erfuhren wir wenig Neues. Dafür konnten wir gegen ein paar Rubel Teile unseres Gepäcks die wir die nächsten Tage nicht brauchen würden, dort lagern. Außerdem rief die sehr hilfsbereite Angestellte das Busunternehmen an und erklärte ihnen, wo genau wir einige Tage später einsteigen wollten.

Nachdem wir fertig umgepackt hatten machten wir uns endlich auf den Weg, der uns schnell über recht schwierige Wege führte. Es gab keinerlei Beschilderung und die Karte die wir gekauft hatte nutze uns nur um einen groben Überblick über die Region zu bekommen. Deshalb verließen wir uns hauptsächlich auf Open Street Map auf dem Handy, was allerdings erstaunlich gut funktionierte. Viele winzige, kaum sichtbare Pfade waren trotzdem eingetragen. Die Gegend wurde schnell sumpfig, und immer wieder mussten wir ein Stück zurücklaufen oder kleinere Flüsse durchwaten. Nach wenigen Stunden erreichten wir einen kleinen See mit traumhafter Aussicht, wo wir unsere Zete aufschlugen. Anschließend packten wir unseren Gaskocher, unser Geschirr und alle Zutaten fürs Abendessen und entfernten uns ein gutes Stück von unserem Zeltplatz, um nicht durch die Essensgerüche Bären anzulocken. Während des Abendessens, als schon völlige Finsternis herrschte, kamen zwei sehr erschöpfte Russen vorbei. Sie wirkten etwas verzweifelt und hatten nur ein Handy dabei, das als Lichtquelle und Karte fungieren musste. Wir zeigten ihnen, auf welchem Weg wir gekommen waren und wünschten ihnen viel Glück. Anschließend verstauten wir unsere Lebensmittel und das Geschirr in sicherer Entfernung und begaben uns zu unseren Zelten.

Der „Sleeping Man“ von unserem ersten Schlafplatz aus.

Morgens erwachten wir zu Nieselregen und klatschnassen Zelten. Also verbrachten wir einen ruhigen Vormittag, frühstückten ausgiebig und fotografierten die malerische Umgebung, während unzählige russische Tagestouristen vorbeimarschierten und die Idylle, die wir uns ausgemalt hatten, lautstark störten. Als die Zelte endlich trocken und sicher verstaut waren, brachen wir auf zum sogenannten „Sleeping Man“. Dabei verließen wir die breiten Wege, die an unserem Zeltplatz vorbeigeführt hatten, kletterten über Geröllfelder und schlugen uns durch niedriges Gestrüpp. Wir kämpften uns einen ersten Pass hinauf, wo wir mit einer phänomenalen Aufsicht belohnt wurden. Nach kurzer Pause legten wir das kurze Stück zu einem wenige hundert Meter entfernten Pass zurück, wo uns eine beeindruckende, aber wenig erfreuliche Aussicht erwartete.

Das Tal, in das uns unser Weg als nächstes hatte führen sollen, war sehr finster und extrem dicht bewaldet. Von oben ließen sich keinerlei Wege ausmachen, und der Abstieg sah halsbrecherisch aus. Nach kaum hundert Metern verschwand der anfangs schmale Pfad ganz, und auch nach mehreren Minuten Suche konnten wir nicht herausfinden, wo er weiter verlaufen sollte. Wir entschieden uns also nach einer Weile, stattdessen auf der anderen Seite abzusteigen und direkt einen Zeltplatz anzusteuern, den wir sonst erst ein bis zwei Tage später hatten erreichen wollen. Auf dem Weg dorthin begegneten uns wieder einmal russische Ausflügler mit sehr leichter Ausrüstung, darunter mehrere kleine Kinder, die mit Flip-Flops über die Geröllfelder kletterten. Am Platz angekommen kochten und aßen wir an einem ruhigen See und gingen bald darauf schlafen.

Am nächsten Tag frühstücken wir entspannt auf einem großen Felsen neben unseren Zelten und machten uns dann auf den Weg. Selbiger verschwand allerdings schon nach wenigen Minuten, und wir verbrachten den restlichen Vormittag damit, querfeldein durch Unterholz zu stapfen und einen Pfad zu suchen. Nach viel hin und her und langer vergeblicher Suche wurden wir schließlich fündig und kamen anschließend wieder schneller voran. Nachdem wir einen sehr sanft, aber dafür auch sehr lange ansteigenden Pass erklommen hatten, machten wir eine hastige Brotzeit mit fantastischer Aussicht über die dichten Wälder im Tal und wanderten dann wieder zügig los, da wir vormittags viel Zeit verloren hatten und es schon spät wurde. Im Tal angekommen fanden wir nach kurzer Suche unseren bisher schönsten Zeltplatz, malerisch an einer Flußbiegung gelegen. Während des Abendessens fiel uns auf, dass nicht nur wir uns hier bärenwohl fühlen würden und begingen den Fehler, uns mögliche Bärenbegegnungen auszumalen. Auf dem Weg ins Bett meinten wir in jedem Schatten einen Bären zu erkennen und zuckten bei jedem leisen Knacken zusammen.

Frühstück am Fluss.

Am nächsten Morgen nutzten wir den Bach, um uns seit Tagen endlich einmal wieder gründlich zu waschen. Obwohl das Wasser eiskalt war, nahm Pia sogar ein ausgiebiges Bad. Danach brachen wir auf, durch sehr schwieriges Gelände. Die meiste Zeit führte unser „Weg“ über Baumwurzeln, Geröllfelder und Bachläufe, und immer wieder glaubten wir, den richtigen Pfad verloren zu haben. Schließlich kam es auch so und wir kämpften uns eine ganze Weile einen sehr steilen, dicht bewachsenen Hang hinauf, bis wir sehr erschöpft an einem traumhaften kleinen Bergsee ins Freie traten und dort auch wieder auf den gesuchten Weg trafen. Nach einer ausgedehnten Erholungspause brachen wir wieder auf und kamen kurze Zeit später an unserem Ziel für den Tag an, einem sehr hübschen Zeltplatz am Ufer eines malerisch gelegenen Sees. Trotz unserer Wegfindungsschwierigkeiten hatten wir unsere Tagesetappe früher als sonst beendet, daher verbrachten wir den ungewohnten freien Nachmittag sehr entspannt mit Lesen und Fotografieren. Abends kochten wir zum letzten Mal und freuten uns darüber, wie leicht unsere Rucksäcke am nächsten Tag sein würden.

Unser letzter Schlafplatz direkt am See.

Am nächsten Tag kamen wir später los als geplant, da unsere Zelte schlecht trockneten. Allerdings war unser Tempo deutlich zügiger als die Tage zuvor, da unser Weg, je näher wir dem Ende unserer Tour kamen, immer besser wurde. Von Anfang an war er, ungewohnterweise, klar markiert und teils sogar ausgeschildert, und gegen Ende war er sogar zu den Seiten hin begrenzt und an schwierigeren Stellen mit Stufen versehen. So erreichten wir früher als gedacht die Ranger-Station, zu der uns unser Weg irrtümlicherweise nach unserer Ankunft im Park gefügt hatte. Tramperfahren waren wir ja nun, und so stellten wir uns an die Straße, um eine Mitfahrgelegenheit zum Visitor Center zu finden, wo uns abends unser Bus abholen sollte. Während wir warteten, zog der Himmel zu unserer Beunruhigung immer weiter zu, und wir waren sehr erleichtert, als bald ein Auto anhielt. Zwei Russen, die während der kurzen Fahrt Kette rauchten und sehr laut Musik hörten, nahmen uns mit, wobei Pia aus Platzmangel mit einem Kindersitz vorlieb nehmen musste. Kaum hatten sie uns an unserem Ziel abgesetzt und wir uns ins Haus gerettet, begann es heftig zu regnen, und wir machten uns sehr erleichtert daran, unsere Rucksäcke umzupacken. Nach kurzer Zeit brachten uns die Angestellten des Centers heißen Tee und liehen uns sehr bequeme warme Hausschuhe, die wir dankend annahmen. Nach einiger Zeit gingen wir vor die Tür, um dort auf unserem Gaskocher Abendessen zu kochen. Dabei gaben wir uns große Mühe, möglichst mitleiderregend auszusehen, was uns aufgrund des anhaltenden Regens und der bitteren Kälte recht leicht fiel. Schon bald zeigten unsere Bemühungen den erwünschten Effekt, und wir wurden zum Kochen hineingebeten. Sehr erleichtert kochten und aßen wir im Haus, und wenig später war es auch schon an der Zeit, nach unserem Bus Ausschau zu halten.

Wir hatten zwar angekündigt, wo und wann wir abgeholt werden wollten, konnten uns der genauen Ankunftszeit des Busses aber nicht sicher sein. Also stellten wir uns eine gute halbe Stunde vor der vereinbarten Zeit an die Straße und hielten Ausschau nach unserem Bus. In der Dunkelheit sahen von fern alle Laster aus wie Reisebusse, und bei jedem hofften wir, es sei unserer, und fürchteten, er würde uns übersehen und einfach vorbei fahren. Nach einiger Zeit rief Ann-Katrin plötzlich, dass sie unseren Bus erkannt hätte, und während wir beide noch rätselten, woran sie das gesehen hatte, hielt er auch schon neben uns an. Extrem erleichtert stiegen wir ein und versuchten, es uns bequem zu machen. Leider funktionierte dies weniger gut als auf der Hinfahrt, und so kamen wir nach etwa elfstündiger Fahrt sehr erschöpft in Krasnoyarsk an.